Redebeitrag bei der Kundgebung am 19. Februar 2024: Hanau – 4 Jahre danach

Redebeitrag des Bündnis Mannheim gegen Rechts, gehalten von Sefa Yeter am 19. Februar 2024 auf dem Marktplatz in Mannheim

Liebe Anwesende die heute gekommen sind um zu erinnern,

ich begrüße euch recht herzlich im Namen der Föderation Demokratischer Arbeitervereine-DIDF, der DIDF-Jugend und des Bündnisses Mannheim gegen Rechts zum Gedenken an den rassistischen Terroranschlag von Hanau heute vor 4 Jahren. Wie jedes Jahr folgen wir dem Wunsch der Hinterbliebenen und Betroffenen und üben uns darin die Namen der Ermordeten hochzuhalten. Als Hinterbliebene, als Initiative 19. Februar und als solidarische Menschen haben wir uns ein Versprechen gegeben, nämlich die Namen der Opfer nicht zu vergessen. Vor diesem Hintergrund erinnern wir heute an: Said Nesar Hashemi, Hamza Kenan Kurtovic, Ferhat Unvar, Sedat Gürbüz, Fatih Saracoglu, Gökhan Gültekin, Villi Viorel Paun, Mercedes Kirpacz und Kaloyan Velkov.

Als derjenige der heute diesen rassismuskritischen Raum des Erinnerns in Mannheim eröffnen darf, ist es mir ein Anliegen erneut dem Ruf der Hinterbliebenen zu folgen und alle hier zu ermahnen, dass ein bloßes Erinnern alleine nicht ausreicht. Gegen das Vergessen zu sein ist wichtig, aber ohne das Erlangen von Konsequenzen bleibt diese Form des Erinnerns lediglich eine ästhetische Korrektur ohne jegliche Substanz.

Im Sinne der Betroffenen des rassistischen Terrors von Hanau, von Halle, von Dessau, von Köln, Duisburg, München, Dortmund, Kassel, Rostock, Berlin, Solingen, Nürnberg, Hamburg, Mölln und so weiter und so fort – sage ich: Lippenbekenntnisse reichen nicht aus! Wir als Gesellschaft müssen so viel Druck aufbauen, als dass das strukturelle Wegschauen, Vertuschen und Verschleiern in den Institutionen ein Ende findet.

Solidarität ist gut aber eines muss ganz klar sein: Erinnern heißt verändern!

Nun jedoch, adressiere Ich uns alle, vor allem aber diejenigen die vom System Rassismus privilegiert werden – und das auf Kosten rassistisch diskriminierter Menschen. Die letzten Monate Deutschland waren hart. Es zirkuliert erschreckend viel Rassismus und wir migrantisierten Menschen erfahren nur wenig Solidarität. Ja, es kann sein, dass Nicht-Betroffenen, eine Art des erfahrungsbasierten Wissens fehlt und dass die Antennen um Rassismus wahrnehmen zu können nicht stark ausgeprägt sind.
Deshalb möchte ich gerne als Übersetzer zu euch sprechen.

Ich würde gerne mit friedensstiftenden Worten beginnen, aber heute möchte ich nicht. Ganz im Gegenteil komme ich heute mit sehr viel migrantischer Wut!

Da Nicht-Betroffene sich aussuchen können ob sie sich mit Rassismus auseinandersetzen wollen oder nicht, gebe ich euch ein wenig unserer Wut mit, in der Hoffnung, dass ihr darüber reflektiert, dass unsere Wut in euch arbeitet und dass Wir alle ins Handeln kommen. Also: Es ist falsch immer nur dann von Rassismus zu sprechen, wenn es zu Gewalt und Terror kommt. Hinter diesem Terror, diesen extremsten Erstreckungen rassistischer Ideologie, welche junge unschuldige Menschen tötet, liegt ein riesengroßer Rattenschwanz. Und wenn wir genau hinschauen, werden wir erkennen, dass wir Teil des Ganzen sind.

Wichtig ist also die Analyse der ganz gewöhnlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, welche diese Form des Extremismus mittragen! Wir dürfen Rassismus nicht nur als individuell auftretendes Problem von Menschen mit einer irregeleiteten Ideologie verstehen, die sich ausschließlich am rechten Rand der Gesellschaft wiederfinden. Dieser verkürzte Blick trägt zur Veraußergewöhnlichung von Rassismus bei und verharmlost ein Jahrhunderte altes Machtsystem, welches nicht-weiße Menschen systematisch unterdrückt, diskriminiert und von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließt, während es weiße Menschen systematisch privilegiert und aufwertet. In Deutschland, wo die Debatte um Rassismus ein absolutes Entwicklungsthema ist, wo selbst der Begriff und die Realität des Rassismus mit Euphemismen wie Fremdenfeindlichkeit verharmlost und verfälscht wird, ist es mir ein Anliegen noch ein paar Worte zum Begriff des Rassismus loszuwerden.

Von den neun Ermordeten in Hanau war niemand fremd! Was sie getötet hat war die Jahrhunderte alte Vorstellung der Kategorie „Rasse“, die insbesondere im Zuge des europäischen Imperialismus und Kolonialismus geprägt wurde und seither dazu genutzt wird um Menschen zu entmenschlichen, zu diskriminieren und zu töten. Und es ist die Kontinuität dieser Vorstellung im neuen Gewand, die dazu führt, dass Menschen auch heute in ihrer eigenen Heimat getötet werden.

Also nennt die Dinge endlich beim Namen. Unser Problem heißt Rassismus. Fangt endlich an es zu benennen, sodass wir auch endlich ins rassismuskritische Arbeiten kommen können. Gerade in Deutschland, einem Land, dass in der historischen Linie gleich zwei rassistischer Genozide im 20. Jahrhundert steht, sollte die Strategie des Umgangs eine bessere sein, als die Realität rassistischer Kontinuitäten systematisch zu verschleiern. Und es braucht bessere Methoden, als sich immer nur wegzuducken, wenn das Wort Rassismus fällt, um bloß klarzustellen, dass man ja nicht rassistisch sei, anstatt der Realität des Rassismus etwas wahrhaftiges entgegenzustellen und ihn konsequent zu verlernen. Es gibt keinen Außenbereich von Rassismus. Wir Alle sind durchsetzt von rassistischem Wissen.

Rassismus ist eine Dynamik, die auch dort vorherrscht, wo Rassismus vermeintlich abgelehnt wird. Rassismus in Deutschland ist die Konstruktion von Menschen und Gruppen zu vermeintlich homogenen Quasi-Rassen, die als Anders, minderwertig und als unverträglich mit Deutschland gedacht werden. Rassismus ist der Ausschluss von Menschen von gesellschaftlichen Gütern wie Bildung, lediglich aufgrund ihres Aussehens, ihres Namens, ihrer zugeschriebenen kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit usw. Rassismus schafft durch diesen Ausschluss und durch Diskriminierung ganz konkrete soziale und sozioökonomische Realitäten. Und Rassismus ist, wenn der schlechtere Status der aufgrund von Diskriminierung und Chancenungleichheit entsteht, als Legitimationslegende genutzt wird um diesen schlechteren Stand als naturgemäße Eigenschaft von Menschengruppen zu verkaufen um somit Diskriminierung zu rechtfertigen.

Rassismus ist die Kulturalisierung der sozialen Frage – Es ist die verlogene Strategie, den prekären sozialen Status von Menschen mit einem sichtbaren Migrationshintergrund, der aufgrund struktureller Benachteiligung entsteht, nicht anhand der Lebensbedingungen der Menschen zu analysieren, sondern ihrer “Kultur“ zuzuschreiben. Entsprechend dieser Vorstellung wird der menschliche Körper zum Ausdruck des menschlichen Charakters. Was für eine kranke Idee…

Rassismus ist nicht alleine der Terroranschlag von Hanau, nicht alleine der Neonazi und sicherlich nicht alleine die AfD… Rassismus findet sich in jedem Segment gesellschaftlichen Miteinanders. Rassismus ist der dumme Kommentar an der Supermarktkasse, Rassismus sind Alltagsbegriffe wie N-Wort-Kuss und Rassismus ist die Ignoranz und Arroganz auf diese Begriffe verzichten zu wollen, obwohl diese Begriffe für andere Menschen mit einer Geschichte voller Versklavung, Traumata und Genozid zu tun haben. Rassismus ist, dass wir als Jugendliche nicht durch die Stadt laufen konnte ohne von der Polizei kontrolliert zu werden und dass es anderen Jugendlichen heute genauso geht. Rassismus, das sind Grundschullehrerinnen, die unschuldigen Kindern einreden, dass niemals etwas aus ihnen werden könne. Rassismus ist das Sanktionieren unserer Sprachen, wenn wir sie auf dem Schulhof sprechen, weil sie als minderwertig oder gar als Bedrohung erachtet werden. Rassismus ist die soziale Geringschätzung migrantischer Communities. Es ist die Tatsache, dass man es nach über 60 Jahren Anwerbeabkommen und Nachbarschaftlichkeit noch immer nicht schafft unsere Namen richtig auszusprechen.

Rassismus ist auch die Tatsache, dass es mehrheitlich nicht-Betroffene sind, die durch rassismuskritische Arbeit Geld verdienen, indem sie unsere Geschichten erzählen, während Betroffene ihre Expertise immerzu ehrenamtlich hergeben sollen. Rassismus ist, dass Menschen der Mehrheitsgesellschaft glauben sie könnten die Zugehörigkeit meiner Großeltern-, Eltern- und die meiner Generation infrage stellen, obwohl meine Großeltern und Eltern wie Tiere unter den schlimmsten Bedingungen gearbeitet haben und dieses Land wieder mitaufgebaut haben und obwohl wir doppelt und dreifach so viel leisten mussten um da hinzukommen wo wir heute sind.

Nachdem wir jahrelang gefleht haben, dass ihr uns doch bitte auch als Deutsche seht, haben wir uns mittlerweile davon emanzipiert und überlassen euch nicht mehr die Deutungshoheit über das Deutschsein. Zu Leuten die sich dazu erdreisten unsere Existenz in Deutschland infrage zu stellen, sage ich ganz klar: So viel Deutschland wie meine Familie und Hunderttausende von anderen Menschen, die ähnliches geleistet haben und ähnliche Biographien haben, könnt ihr niemals sein und euer Rassismus ist einfach nur langweilig.

Wir sind keine Mängelwesen, deren Aufgabe es ist, ihre vermeintlichen Defizite abzulegen um als integriert gelten zu dürfen. Wir alle, die hier, in dieser geteilten Geographie miteinander leben sind Deutschland.

Und an offenkundige Rassisten kann ich nur sagen: Integriert ihr euch endlich! Euer Rassismus ist pure Desintegration!

Rassismus ist der mediale Diskurs der zwischen einheimischer Normalität und eingewanderten Problemen unterscheidet. Rassismus – das sind Kinderbücher, Zeitungen, Nachrichten, Lehrpläne, Lehrbeauftragte, Professor*innen, der Wohnungsmarkt, die Justiz, Polizei und der SEK-Einsatz gegen unsere Freunde der Black Academy in Mannheim im vergangenen Jahr. Rassismus sind Facebook-Kommentare, wenn lokale Medien darüber berichten, dass ein Kebab-Laden am Marktplatz eröffnen soll. Rassismus – das ist die milliardenfach wiederholte Zuweisung angeblicher Minderwertigkeit von mir und meinen Freunden of Color in Liedern, Büchern, Nachrichten, Gesetzen, in Theaterstücken, in der Werbung usw. – so lange bis der Glaube an die eigene Unterlegenheit zur Selbstverständlichkeit wird. Und so lange bis der Glaube an die eigene Überlegenheit des rassistischen Terroristen von Hanau zur Selbstverständlichkeit wird, sodass er sich dazu befähigt sieht Menschen aufgrund ihres Aussehens zu töten.

Rassismus ist white supremacy. Rassismus ist eine Struktur die weiße Menschen als normal und Nicht-Weiße Menschen als abweichend setzt. Rassismus ist ein weißes Gruppenprivileg, dass weiße Menschen konsequent bevorzugt. In so harten Tagen, wo viele migrantisierte Menschen und People of Color wieder Angst haben und es den Anschein macht, als könnte das nächste Hanau sehr bald wieder passieren, ist es wichtig klare Kante gegen expliziten Rassismus zu zeigen und sich schützend neben Betroffene von Rassismus zu stellen.

Aber der Kampf gegen die Normalität des strukturellen Rassismus, der wie ein Schleier über uns allen liegt, und der den Nährboden von rassistischen Terrorakten wie in Hanau liefert, ist ebenso unverzichtbar. Dieser Kampf jedoch ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Deshalb ist es nun aber wichtig, die eigenen Privilegien mitzudenken und die Bedeutung dieser für bestehende rassistische Verhältnisse nicht auszublenden.

Fangt bitte an das historische Gewordensein weißer Hegemonie zu verstehen und zu dekonstruieren. Lernt von schwarzen Perspektiven und nehmt unsere Geschichten ernst. Fangt an eure Privilegien dafür einzusetzen um genau diese abzubauen und übt euch in Machtabgabe:
Gebt uns Räume, lasst uns selbstbestimmt reden und hört auf ständig für uns zu reden, wiedersteht dem Versuch Rassismus verharmlosen zu wollen, schafft endlich Strukturen die uns stärken und empowern und lasst Fremdzuschreibungen. Helft uns gegen dämonisierende Diskurse und lasst uns gemeinsam ein Klima schaffen indem positive Identitäten von rassifizierten Menschen in einem postmigrantischen Deutschland wachsen können.

Wenn wir das machen, ziehen wir nämlich Stück für Stück dem Rassismus seinen Stachel, sodass eine Atmosphäre entstehen kann, in dem auch rassistischer Terror nicht mehr wird fruchten können. Das ist eine unumgängliche Strategie für den Marathon gegen Rassismus.
Erst wenn wir Rassismus auf diese Weise verlernen, hat auch rassistischer Terror keinen Nährboden mehr. Solange sich dahingehend nichts ändert hat Deutschland uns und unsere 9 getöteten Geschwister aus Hanau nicht verdient.

Meine Mitstreiter*innen und Ich versprechen euch, dass wir dafür kämpfen werden, dass sich das ändert meine lieben Geschwister Said, Hamza, Ferhat, Sedat, Fatih, Gökhan, Villi, Mercedes und Kaloyan. Ruhet in Frieden.